Geschichte und Portrait Burgergemeinde Urtenen (BGU)


Entstehung und Zweck

Die Burgergemeinden des Kantons Bern sind grösstenteils in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. In der Schweiz und auch im umliegenden Ausland herrschten damals für einen Teil der Bevölkerung sehr schwierige Zeiten. Vor allem die armen Tagelöhner konnten ihre kinderreichen Familien kaum ernähren. Es war auch die Zeit, in der sehr viele Schweizer auswanderten. Auf der anderen Seite gab es die Landbesitzer, die sogenannten «Schupposenbesitzer», denen es für damalige Verhältnisse sehr gut ging (als «Schuppose» wurden im Mittelalter ein Kleinbauernhof und dessen landwirtschaftliche Nutzfläche bezeichnet).

In den Jahren 1839/40 erliess der Kanton Bern ein Gesetz, nach dem die Schupposenbesitzer den sogenannt «unberechtigten» Bürgern, die Weiderechte und Holznutzungen besassen, Land und Wald als Eigentum abtreten mussten.

Damit sollten die armen Tagelöhner Land zum Weiden und Bepflanzen sowie Holz zum Kochen und Heizen erhalten. Land und Wald wurden jedoch nicht an einzelne Personen, sondern an die Gemeinschaft abgegeben. Diese hatte zur Verwaltung und Nutzung ein sogenanntes «Gemeinwesen» zu gründen, die heutigen Burgergemeinden. Die Nutzer durften im Gegenzug den Landbesitzern nicht mehr zur Last fallen. Das neue Gesetz war somit ein Fürsorgegesetz mit Eigenverantwortung bzw. Eigenversorgung.

Am 7. Mai 1841 fand die erste konstituierende Versammlung der «Gemeinschaft der unberechtigten Burger von Urtenen» statt – die Geburtsstunde der BGU als eigenständiges Gemeinwesen. Die ursprünglichen Geschlechter der Burger waren Aeberhard, Egli, Hubacher, Knöri und Rufer.

Die Land- und Waldabtretungen erfolgten natürlich nicht freiwillig. Die Schupposenbesitzer wehrten sich vor Gericht gegen die Abgabe. Es ging deshalb noch weitere acht Jahre, bis die BGU Wald und Land erhielt und nutzen konnte.

Gemäss Vertrag erhielten die armen und unberechtigten Burger im Jahr 1849:

  • 50 Jucharten (18 ha) Wald im Bubenloo
  • 30 Jucharten (10,8 ha) Land, 60% Moosland und 40% Reuteland (Weideland)

Das Land und der Wald dienten über Jahrzehnte vor allem der Selbstversorgung der anfänglich armen unberechtigten Burger. In Nutzungs- und Waldreglementen wurde umschrieben, wer nutzungsberechtigt war und was der Nutzen umfasste. Wer eigenen Grundbesitz oder ein gewisses Vermögen besass (anfänglich mehr als Fr. 5000.-), hatte auch als Burger kein Anrecht auf Nutzung. Als Gegenleistung für das Holz mussten unentgeltliche Waldarbeiten geleistet und ein sogenannter «Tell» bezahlt werden. 

Im ersten Nutzungsreglement von 1850 wurde festgelegt:
Vom Moosland wurden 30, vom Reuteland je 26 gleich grosse Stücke erstellt und an maximal 26 Nutzungsberechtigte abgetreten. Anspruch auf die Nutzung von 1 Stück Moosland und 1 Stück Reuteland hatten, auf Lebzeiten, Verheiratete ab 25 Jahren und Ledige ab 30 Jahren mit eigenem Haushalt und Wohnsitz in der Gemeinde Urtenen seit mindestens 2 Jahren.

Von der Hälfte des jährlichen Holzschlages wurden so viele Holz-Lose erstellt wie anspruchsberechtigte Burger existierten, maximal 2 Klafter pro Los. Der Rest wurde gelagert oder für die Deckung des Aufwands der Burgergemeinde verkauft. Waren mehr als 26 Interessenten vorhanden, kamen sie auf eine Warteliste und erhielten vorerst ein sogenanntes «Wartbitzli» (Pflanzblätz) zur Nutzung.

In der BGU waren dann während fast 140 Jahren immer nur 26 Burger nutzungsberechtigt. Das Nutzungsreglement wurde zwar mehrmals angepasst, der Grundsatz blieb jedoch bestehen. Es gab früher viel Streit im Zusammenhang mit den Nutzungen. Man fühlte sich betrogen, weil das Holz-Los schlechter oder der Holzhaufen kleiner war als bei anderen oder meinte, schlechteres Land erhalten zu haben. Alte Burger erzählen, dass es nach dem Holzen, wenn auch noch ein wenig „geschnäpselet“ wurde, gelegentlich sogar zu Schlägereien kam.

Das Dorf Urtenen hat sich längst vom Bauerndorf zur Vorortsgemeinde gewandelt. Damit hat sich vor allem mit den Landparzellen vieles geändert. Es wurde getauscht, verkauft und, als dies noch möglich war, auch gekauft. Verschiedene Parzellen kamen zwangsläufig in die Bauzone. Weil die langfristige Werterhaltung im Vordergrund steht, wurde Bauland wenn immer möglich im Baurecht abgetreten.

Mit der Zeit benötigten immer weniger Burger das Land für eigene Zwecke. Sie verpachteten es deshalb an Bauern, auch der Holzbedarf ging immer mehr zurück.

Im Jahr 1989 wurde ein neues Nutzungsreglement eingeführt. Danach haben alle Burger, die die Bedingungen erfüllen, Anspruch auf einen Barnutzen (pro Familie bzw. Wohnung 1 Nutzen). Dieser Nutzen wird nur ausbezahlt, wenn es die finanziellen Verhältnisse der BGU nach Begleichung aller übrigen Verpflichtungen erlauben. Zusammen mit dem Budget wird jährlich darüber entschieden. Das Holz muss auch von Burgern zu Marktpreisen gekauft werden. Pflichtarbeiten sind keine mehr zu leisten. Das Kulturland wird durch die Burgergemeinde verpachtet, Burger haben Vorrang.

Die Burgergemeinden haben zwar viel Eigenverantwortung, können aber trotzdem nicht tun und lassen, was sie wollen. Sie unterstehen bezüglich der Organisation und den Finanzen wie die Einwohnergemeinden dem Gemeindegesetz, sind andererseits aber steuerpflichtig. Das Organisationsreglement muss vom Kanton genehmigt werden, über die Rechnung ist Rechenschaft abzulegen und ein Finanzplan ist zu erstellen.

Nach der Kantonsverfassung sind die Burgergemeinden verpflichtet, sich nach Massgabe ihrer Mittel zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen.

Seitdem nicht mehr die Eigenversorgung der Burger im Vordergrund steht, hat sich die BGU, mit steigenden finanziellen Möglichkeiten, zunehmend für das Allgemeinwohl eingesetzt. Angefangen mit günstigen Baurechtszinsen für das einheimische Gewerbe oder das Begleitete Wohnen, das Bereitstellen von günstigem Wohnraum, der Schenkung des Baulands für das Altersheim sowie Beiträgen für verschiedene gemeinnützige und kulturelle Zwecke. Seit 2015 besitzt die BGU ein Leitbild und ein spezielles Reglement über Förderbeiträge. Auch das Organisations- und das Nutzungsreglement wurden 2015/2016 den neusten Gegebenheiten angepasst.

Leider sind immer mehr junge Burgerinnen und Burger aus der Gemeinde weggezogen, eine Überalterung zeichnete sich ab. Um Gegensteuer zu geben, wurde das Stimm-, Wahl- und Nutzungsrecht ab 2016 auf die angrenzenden Gemeinden Bäriswil, Mattstetten, Moosseedorf, Wiggiswil und Jegenstorf ausgedehnt, was zusätzlich 26 neue stimmberechtigte Burgerinnen und Burger brachte. Zudem wurde ein Reglement zur Aufnahme in das Burgerrecht (Einburgerungen) erstellt.